One line

Jennifer Walshe: capture

Neufassung für Schlagzeugerin und Tänzerin

(2021/2024)

Eine Schlagzeugerin führt ein Stück auf. Die Aufführung wird gefilmt und das Filmmaterial in eine Videobearbeitungssoftware importiert, wo die Datei beschleunigt, verlangsamt oder eingefroren werden kann; wo winzige Fragmente wiederholt, umgekehrt oder überlagert werden können, wo der Cutter nach Belieben durch das Filmmaterial blättern kann. Diese Erfahrungen digital vermittelter Bewegung kippen um und kehren in die reale Welt zurück. capture beschäftigt sich mit der Frage, wie »digitale Signaturen« von Bewegung auf der Bühne aufgeführt werden können, wie sie unsere Beziehung zu Klang, Zeit und Körper beeinflussen. Wie sie sich in dem verschwommenen Gebiet zwischen dem Digitalen und dem Realen bewegen, in dem wir jetzt alle leben.

Jennifer Walshe

 

Kontext:

Der Fotograf Eadweard Muybridge (18301904) ist bekannt für seine Studien von Menschen und Tieren in Bewegung. »The Horse in Motion«, eine bahnbrechende Serie von Kabinettkarten, die 1878 veröffentlicht wurde, legte den Grundstein für die Erfindung des Films. »Pferd in Bewegung« entstand auf Anregung von Muybridges Mäzen, Leland Stanford, dem Industriellen, Rennpferdebesitzer und Gründer der Stanford University. Stanford wollte eine Methode, um die Gangart seiner Pferde zu analysierenvor 1878 gab es keine Möglichkeit zu überprüfen, ob ein oder mehrere Beine eines Pferdes während eines Trabs oder Galopps den Boden an verschiedenen Stellen berührten. Muybridge entwarf ein System von zwölf Kameras, die durch Drähte ausgelöst wurden, und konnte so erfolgreich Pferde im Trab und Galopp fotografieren. Die Fotografie bot nun eine Möglichkeit, sequenzielle Bewegungen zu erfassen und aufzuschlüsselnBewegungen, die für das menschliche Auge zu schnell waren, um sie zu erfassen.

So begann die Ära, in der wir heute leben, eine Ära, in der Bewegung technologisch vermittelt wird und oft in erster Linie durch die Linse der Technologie verstanden wird, mit der sie aufgenommen wurde. Eine Ära, in der Bewegung in Fragmente zerlegt, beschleunigt, verlangsamt, umgekehrt, bearbeitet und als Filme, Standbilder und GIFs verbreitet wird.

 

Das Konzept des »Uncanny Valley« wurde erstmals von dem japanischen Robotikprofessor Masahiro Mori in der Zeitschrift »Energy« im Jahr 1970 beschrieben. Moris Aufsatz befasst sich mit den Herausforderungen, vor denen die Designer von Prothesen und Robotern stehen. Er entwirft ein Diagramm mit zwei AchsenAffinität und Menschenähnlichkeit. Sein Modell beschreibt, wie wir wenig Affinität zu Industrierobotern empfinden, die dem Menschen in keiner Weise ähneln, während wir eine große Affinität zu gesunden Menschen haben. Zwischen diesen beiden Extremen befindet sich das Uncanny Valley. In dem Maße, in dem Roboter oder andere Darstellungen von Menschen, wie Puppen oder Marionetten, dem Menschen immer ähnlicher werden, empfinden wir ein zunehmendes Maß an Affinität, bis wir das Uncanny Valley erreichen, in dem der Mensch verunsichert ist. Das Unheimliche Tal wird von Leichen, Zombies, Prothesen und Robotern bewohnt, die »fast menschlich« oder »kaum menschlich« sind. Für Mori vollzieht sich beim Eintritt in das Uncanny Valley ein abrupter Wechsel von Empathie zu Abscheu. Das Uncanny Valley ist mehr als ein Konzept in der Robotikes kann als eine Ästhetik betrachtet werden. Diese Ästhetik findet sich überall in der Kulturin der Pantomime mit ihrer reichen Geschichte, in der Menschen vorgeben, Marionetten und Puppen zu sein; in Tanzstilen wie Animation, Robotics und Strobing; in Influencern wie Poppy, einem Menschen, der vorgibt, ein Roboter zu sein.

Jennifer Walshe (Ausschnitte aus dem Konzept zu »Capture«)