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Luciano Berio

Luciano Berio
© Universal Edition/Eric Marinitsch

Die Biographie Luciano Berios beginnt wie die unzähliger italienischer (und deutscher und französischer…) Komponisten der Vergangenheit: alle seine Vorfahren bis ins 18. Jahrhundert waren Musiker. Er wurde in der Kleinstadt Oneglia geboren, wo sein Großvater und sein Vater ihr Lebensunterhalt als Kirchenorganisten verdienten und auch komponierten. (Universal Edition hat eine Auswahl ihrer Werke im Band Berio Family Album veröffentlicht, mit Stücken Adolfos und Ernestos nebst Luciano Berios).

Während Ernesto Berio ein glühender Anhänger des Duce war, war sein Sohn ein ebenso glühender Antifaschist. Glühend und aufgebracht: er konnte Mussolini die Verfälschung der Musikgeschichte nicht verzeihen. Die wichtigsten, bahnbrechenden Komponisten des 20. Jahrhunderts wurden unterschlagen und Berio, der in der Provinz aufwachsend vom kulturellen Leben sowieso abgeschnitten war, hatte jahrelang keinen Zugang zur Musik, die so wichtig für seine Entwicklung gewesen wäre.

Berio war überzeugt, dass es für junge Komponisten unerlässlich war, die Partituren der klassischen Meister zu studieren und sich in verschiedenen Stilen zu versuchen. Er zollte großen Dankbarkeit seinem Professor Ghedini gegenüber, der ihm beibrachte, die Musik Monteverdis zu lieben und zu respektieren (1966 bearbeitete dann Berio dessen Il Combattimento di Tancredi e Clorinda). Er verdankte viel auch seinem Freund Bruno Maderna (»Ich lernte zum Beispiel daraus, wie er Mozart dirigierte, oder meine und seine eigenen Stücke aufführte. Sein Wissen vom frühen Kontrapunkt, Dufay und die anderen, war enorm, aber er studierte auch elektronische Musik früher als ich.«)

Berio und Maderna gründeten gemeinsam das Studio di Fonologia Musicale (1955), wo Mutazioni, Perspectives und Thema (Omaggio a Joyce) sowie Différences entstanden. Beide Komponisten riefen auch die Zeitschrift Incontri musicali (19561960) und die gleichnamige Konzertreihe ins Leben, mit Dirigenten wie Boulez, Scherchen und Maderna. (»Wir hatten viele Feinde. Ich erinnere mich eines Abends, wenn Boulez dirigierte und es kam zu Handgreiflichkeiten, so dass die Polizei intervenieren musste.«)

Neben Ghedini und Maderna lernte Berio auch viel von Henri Pousseur, den er 1954 in Darmstadt kennen gelernt hatte. »Wenn ich auf jene Jahre zurückblickesagte erempfinde ich Dankbarkeit für drei Leute: Ghedini, Maderna und Pousseur. Ich war ja immer noch der junge Mann aus Oneglia und ich brauchte ihre Hilfe, um vieles in der Musik zu verstehen.«)

Über die nachfolgenden Jahre und Jahrzehnte wurde Berio eine der bestimmenden Persönlichkeiten der neuen Musik. Ähnlich wie eine kleine Gruppe von Komponisten, die in den 20er Jahren geboren wurden (allen voran Boulez und Nono), hat auch Berio Werke komponiert, die als Meilensteine der neueren Musikgeschichte geltenob Stücke für Soloinstrumente und –stimme (der Sequenza-Zyklus), für Kammerensemble (wie die auf manche der Sequenze basierenden Chemins), Orchester (Sinfonia, wo sich dem Orchester acht Solostimmen anschließen, ist bis heute ein repräsentatives Werk der 60er Jahre), für Chor und Orchester (Coro ist eine emblematische Auseinandersetzung mit der Volksmusik), für Stimme und Orchester (wie Epiphanies), Solostimme, Chor und Orchester (Stanze für Bariton, Männerchor und Orchester war Berios Abschied vom Komponieren) und all seine Werke für das Musiktheater (Passaggio, La vera storia, Un re in ascolto, Laborintus II…).

Berio hat seine musikalischen Vorgänger nie aus dem Auge verloren. Davon zeugt seine Rekonstruktion einer unvollendeten Schubert-Symphonie in Rendering, seine Bearbeitungen und Instrumentierungen von Purcell, Boccherini, de Falla, Verdi, Mahler, Puccini, Weill. Er hat seine Ohren auch für Musik außerhalb des Konzertsaals und des Opernhauses offen gehalten: er war ein Bewunderer der Beatles und legte einige ihrer Hits in Bearbeitungen vor. Seine Orchestrierung eines Straußes von Volksliedern verschiedener Nationen (Folk Songs) wurde selbst ein Hit.

Luciano Berio war sich seiner Verantwortung als Mitglied der Gesellschaft bewusst. Er sagte, er hätte kein Verständnis für Komponisten, die dachten, sie seien Sprachröhre des Universums und der Menschheit. »Ich denke, es genügt, wenn wir uns bemühen, verantwortungsvolle Kinder der Gesellschaft zu werden.«