One line

Zaid Jabri: Two Songs from Mihyâr of Damascus

for five voices and five spring tubes

(2013)

Zaid Jabri hat seine Heimatstadt Damaskus als Jugendlicher verlassen, um den Weg eines Komponisten zu gehen. Der führte ihn nach Polen, wo er nun seit langem schon künstlerisch verortet ist und die polnische Neue-Musik-Szene mitgestaltet.
Die Distanz zu seinem Herkunftsland, die seine selbstgewählte künstlerische Heimat ihm ermöglicht, teilt er mit dem syrischen Lyriker Adonis, einem der bedeutendsten Schriftsteller des arabischen Raums, der seit vielen Jahren in Paris im Exil lebt. Adonis bekennt sich klar zum Laizismus und damit zur Freiheit und drückt damit sicherlich die Haltung vieler arabischer Intellektueller aus. Den arabischen Frühling, die Auseinandersetzungen in der arabischen Welt und insbesondere die syrische Situation beurteilt er ausgesprochen pessimistisch. Es gebe keine Demokratie, wenn politische Systeme auf einer religiösen Basis aufgebaut seien. »Nur die Menschenrechtserklärung darf sich das anmaßen, und nur eine Verfassung darf meine Freiheit gewährleisten. Demokratie in der arabischen Gesellschaft können wir nur auf der Basis ziviler, säkularer Staatsgewalten, auf der Grundlage der bürgerrechtlichen Gleichheit und des Laizismus erreichen.«
Mit dieser Haltung und auch unter dem Eindruck von Nietzsches Werk, das er zuvor für sich entdeckt hatte, schrieb Adonis schon 1958 bis 1965 Die Gesänge Mihyârs des Damaszeners, einen arabischen Hymnus auf die Freiheit und auf die bürgerliche Universalität der Poesie. In dem Gedichtzyklus kommen Hoffnungen, Wünsche, Träume zum Ausdruck, die die arabische Welt bei seinem Erscheinen im Jahr 1961 in Aufruhr versetzt haben. »Mihyar, der Damaszener, hat auf die gleiche Weise [wie Zarathustra] versucht, etwas zu provozieren, was ich die gute Zerstörung nenne: alles niederreißen, um alles neu zu erbauen.«
»Die Gesänge bleiben zeitgenössisch bis heute«, sagt Zaid Jabri, der diese beiden gegensätzlichen Gedichte Adonis’ sehr bewusst für Mediterranean Voices gewählt hat, »und blicken sogar in die Zukunft und hinter die Grenzen von Zeit und Raum. So wurden sie zum Spiegel der Realität unserer heutigen Welt. Mihyâr, der Held des Gedichtzyklus’, ist eine irreale Figur, die aus dem Geiste Adonis’ geboren ist. Manchmal sehen wir ihn als König und manchmal als Philosophen, oder auch verrückt und böse.«
Zaid Jabri greift bei seinen Two Songs from Mihyâr from Damascus auf eine klassische Kompositionsweise von Literaturvertonung zurück und stellt damit die Aussage des Textes ins Zentrum seines Werks. Er nutzt alle Möglichkeiten gesanglichen Ausdrucks, um den dramatischen Gestus zu unterstreichen, von Extremlagen, mikrotonalen Schärfen und Reibungen über homophone Direktheit bis zu polyphon-verwobenen, entrückten Klängen. Thunder Tubes, die von allen fünf Sängern gespielt werden, unterstreichen den dramatischen Gehalt und vergrößern den akustischen Raum in sphärische Weiten.
»Es fällt mir schwer, über meine Musik zu schreiben, weil ich mich in Klängen, nicht in Worten ausdrücke. Man kann Mihyârs Gesicht fühlen, das zu Beginn des ersten Lieds ein Feuer ist, und den Klang seines Atems während seines Traums im zweiten Lied. Man kann auch die grenzenlose Ausdehnung des Himmels am Ende des zweiten Lieds hören, in dem Mihyârs Himmel dort beginnt, wo der Himmel, den wir kennen, endet…«

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