Stefan Litwin: Huakajchi
für Klavier solo
(2023)Am 11. September 2023 jährt sich zum 50. Mal der Tag, an dem der demokratisch gewählte Präsident Chiles, Salvador Allende, durch einen Militärputsch gestürzt wurde. In Folge folterten und ermordeten die Militärs tausende Menschen, unter ihnen auch den Sänger Víctor Jara. Als Vertreter der Nueva Canción hatte Jara mit seinen sozialkritischen Liedern die politischen Verhältnisse seiner Heimat besungen und bereits vor der Präsidentschaft Allendes immense Popularität erlangt. Eines seiner Lieder, »Plegaria a un labrador/Gebet an einen Landarbeiter«, ist dem »Vater unser« nachempfunden–in revolutionärer Umdeutung im Sinne der lateinamerikanischen Befreiungstheologie.
Die Melodie, Gesängen der Andenvölker verwandt, basiert auf einfachen Tonleiterschritten und illustriert mit ihrer Aufwärtsbewegung das erste Wort des Liedtextes »Levantate«. Die gesamte Anfangszeile »Levantate y mira la montaña/Steh auf und betrachte den Berg« erweckte in mir die Assoziation an den bolivianischen Berg Huakajchi/»Der Berg, der weinte«. Die indigene Bevölkerung taufte diesen Berg so, weil er als stiller Zeuge dem berüchtigten Cerro Rico gegenübersteht, jener gewaltigen Silbermine, in der hunderttausende versklavter Menschen von den Conquistadores und späteren Kolonialherren zu Tode geschunden wurden. Die jahrhundertelange Ausbeutung der Schächte führte schließlich dazu, dass große Teile des Cerro Rico einstürzten und eine Kraterlandschaft hinterließen.
Das in freier Variationsform gehaltene Klavierstück greift die Idee des Gebets auf und verarbeitet die Melodie Víctor Jaras in der Art eines Choralvorspiels–eine Hommage an den chilenischen Barden, dessen Schicksal mit der gewaltsamen Historie seines Heimatlandes verknüpft bleibt.
Der Fundación Víctor Jara in Santiago de Chile und insbesondere der Tochter des Sängers, Amanda Jara, sei für die Genehmigung gedankt, das Lied zitieren und verarbeiten zu dürfen.
(Stefan Litwin)