Sidney Corbett: Die göttliche Dunkelheit
für zwei Stimmen
(2005)Der Text stammt aus »Die mystische Theologie« eines syrischen Mönchs aus dem 5. Jahrhundert, der heute als Pseudo-Dionysios Areopagita bekannt ist. Da er fälschlicherweise für den ersten Bekehrten des Heiligen Paulus gehalten wurde, galten seine Texte im Mittelalter als quasi-apostolisch und verbreiteten sich daher extrem weit, obwohl ein Großteil des Inhalts, der sich um den »Deus Absconditus« dreht, leicht als ketzerisch angesehen werden konnte. Dionysios’ Sichtweise von Gott als Abwesenheit jeglicher vorstellbarer Eigenschaften, die aus der menschlichen Vorstellungskraft hervorgehen, kommt einigen mittelalterlichen kabbalistischen Konzepten sehr nahe. Die Texte von Dionysios Areopagita waren waren u.a auch Quelle der katholischen Mystik von Meister Eckhart.
(Sidney Corbett)
Pseudo-Dionysios Areopagita: Die göttliche Dunkelheit
O Dunkel des Schweigens,
Es wäre nicht genug, von dir zu sagen, daß du vor lauter Finsternis
In strahlendstem Licht aufglänzest,
nicht genug, von dir zu glauben, dass dein Glanz sich immer gleich bleibe,
unstörbar und unzerstörbar, nie zu sehen und nie zu erreichen.
Es wäre auch nicht genug, von dir zu sagen,
dass du, Dunkelheit des Urgrunds, jenen vollkommenen Geist,
der die Augen des Daseins und die Augen des Seins zu schließen vermöchte,
mit der Leuchtkraft deiner Fülle, bis zum Bersten blendest
und schöner bist als die Schönheit selbst.
Dies ist mein Gebet. Amen.
(Übersetzung von Prof. Dr. Walther Tritsch)