One line

Arnulf Herrmann: Hard Boiled Variations

15 ½ Zyklen für Ensemble und Tanz

(2020/2021)

Der Tanz ist eine Bewegung, die man empfindet,

genauer gesagt, eine Bewegung, die so aufgebaut ist, daß man sie empfindet.

(Viktor Sklovskij, Theorie der Prosa)

 

Wenn Sie alles unter Kontrolle haben, fahren Sie noch nicht schnell genug.

(Tom Peters)

 

In Hard Boiled Variations wird ein Zyklus von fünf Teilen insgesamt fünfzehn(-einhalb) Mal wiederholt. Der erste Durchlauf dauert fünf Minuten, der kürzeste gerade noch drei Sekunden, und schließlich bleibt nur noch ein einziger Schlag übrig. Die Geschwindigkeit steigert sich also um mehr als das Hundertfache.

Zwei Dinge stehen dabei im Zentrum: Zum einen geht es im Stück um unterschiedliche Facetten von Beschleunigung bzw. die verschiedenen Wege, den Eindruck von Beschleunigung zu erzeugen. Zum anderen geht es gleichzeitig auch um ein Spiel von Nähe und Ferne bzw. Schärfe und Unschärfe. Die Anlehnung an die visuelle Wahrnehmung bzw. die bildende Kunst ist dabei durchaus gewollt: vergleichbar einem allmählichen Zurücktreten von einer Leinwand verblassen die Details mit zunehmender Entfernung (oder Beschleunigung)und die übergeordneten Konturen treten in den Vordergrund, bis schließlich nur noch der Gesamteindruck des Bildes erkennbar bleibt. Alle Details verschwinden zugunsten eines globalen Eindrucks. So kippt am Endpunkt die rasende Geschwindigkeit auch wieder in ihr Gegenteil: Sie steht still.

Die Bewegung erstarrt zum Bild, Erfahrung gerinnt zur Anschauung und die Zeit wird buchstäblich zum Raum.

 

Hard Boiled Variations ist als Tanzstück konzipiert. Das musikalische Material wurde von Anfang an von Bewegungsformen aus gedacht, allerdings ohne eine Interpretation festzulegen. Das beinhaltet auch die Möglichkeit einer rein musikalischen Aufführung, die sich allein auf die Bewegungs- und Beschleunigungsvorgänge im Inneren der Musik fokussiert. Die Aufführung in Stuttgart ist in dieser Hinsicht eine Premiere.

(Arnulf Herrmann)