One line

Dror Feiler: 32° 43′ Nord 33° 31′ Ost.

Den 10 gewidmet

für sieben Instrumente

(2015)

Meine Musik als brutal sentimentales Konzept basiert auf dem vereinheitlichenden Prinzip von »Klang als Form«. Sie ist eine Art von Wandteppich, gewoben aus widersprüchlichen, kalkulierten Klangwolken (und gelegentlich melodischen Fragmenten), innerhalb derer jeder einzelne Ausdruck das abwesende Ganze widerspiegelt. Die Musik wird nie eindeutig definiert, sondern sie fluktuiert ununterbrochen zwischen den verschiedenen Schichten der Komposition. Als Folge treibt der Zuhörer mit einem instabilen Kompass auf einem wogenden Klangmeer. Meine Musik zieht ihre Kraft aus ihrer eigenen Unvollständigkeit, ihrer unvermeidlichen Uneindeutigkeit, Undurchsichtigkeit und ihren Widersprüchen. Anstatt eines nutzlosen Versuchs, eine Art von Klarheit durch präzise Strukturen und Kompositionsmethoden zu schaffen, verlässt sich die Musik auf ihre eigene ästhetische Natur, um ihre Essenz zu behaupten.

 

Meine Intention ist eine chaotische, unvollständige Form als Kontrapunkt zur positivistischen, gut gepflegten und vollständigen Form. Das Ziel ist nicht, eine Art von Formlosigkeit oder einen »einfachen Kontrasteffekt« zu verfechten, sondern die unvermeidlichen Konsequenzen einer aporetischen Situation, in der Komposition sich befindet, zu akzeptieren. Das Problem besteht darin, ein Gleichgewicht zwischen der Nutzlosigkeit und der Notwendigkeit des Strebens nach Klarheit und Solidität beim Komponieren zu finden. Das Resultat ist »Noise« als eine Form des brutal sentimentalen Konzepts, das frei ist von vorgefassten Ideen über sich selbst oder seine Antithese.

 

Noise, im weitest denkbaren Sinn, ist eines der zentralen Elemente des brutal sentimentalen Konzepts. Die grobe Rohheit und die sentimentalen Melodien der Musik sind ein Versuch, die Art und Weise des Zuhörens zu verändern. Noise und Melodie als Teil eines Klangobjekts außerhalb des gewohnten Kontexts wahrgenommen ist konfrontativ, affektiv und transformativ. Das hat eine Schockwirkung und befremdet den Zuhörer, der von Musik ein ruhiges Fließen, eine sichere Vertrautheit oder irgendeine Art von Besänftigung erwartet. Noise als brutal sentimentales Konzept politisiert die Hörumgebung. In der Musik liegt der Schwerpunkt auf dem Verhältnis der unterschiedlichen Tonhöhen und Dauern einer Note, die zu Melodie und Harmonie führen, und auf dem Timing von Ereignissen, musikalischen Klängen und Stille, die Rhythmus ergeben. In meiner Musik gebe ich anderen Dingen Gewicht, nämlich dem Gegenüber von Präzision und dem Unpräzisen im Klang sowie dem Verhältnis zwischen synchron und asynchron.

 

Der Übergang von Unordnung zur Ordnung in der Musik kann interessant sein, aber mich interessiert noch mehr, von Unordnung zur noch größerer Unordnung zu gehen. Meine Musik mag schwierig sein, im gleichen Sinne wie Adorno die Musik von Schönberg als schwierig empfindet: nicht weil sie prätentiös oder obskur ist, sondern weil sie die aktive Beteiligung des Zuhörers fordert (wie auch von den Spielern, die selbst Zuhörer sind). Als ein brutal sentimentales Konzept, das durch Noise als Form organisiert ist, fordert diese Musik die höchste Aufmerksamkeit auf simultane Multiplizität, den Verzicht auf die maßgefertigten Krücken des Zuhörens und die intensive Wahrnehmung des Einzigartigen und Spezifischen. Je mehr sie den Zuhörern gibt, desto weniger bietet sie ihnen an. Sie fordert vom Hörer, selbst eine innere Bewegung zu komponieren und setzt nicht bloßes Beobachten, sondern Praxis voraus.

(Dror Feiler)